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  • AutorenbildDragi

Respekt


Neulich wieder einmal im Spital. Das 3. Mal in dieser Woche. Jedes Mal fordert es meine letzte Kraft und meine gute Laune. Am überwachten Eingang mittlerweile die „normale Corona Routine – fiebermessen – händedesinfizieren ... dann die immer selben Fragen: Was wollen Sie hier? Haben Sie ein Termin? Und meine Lieblingsfrage: „Haben Sie Corona Symptome?“ Grrrrr. „Nein, aber stell dir vor, es gibt auch andere Erkrankungen. Und welch Überraschung: Es sterben mehr Menschen an diesen Krankheiten, die meisten kommen leise, schnell, aggressiv und ohne große Symptomatiken.“, denke ich mir mit aufsteigender Ungeduld.

Tatsächlich lautet meine Standard-Antwort auf die letzte Frage: „Nein aber Krebs Symptome. Kann ich tauschen?“ Diese Antwort verursacht bei den meisten große Augen und beschleunigt in der Regel das Prozedere. Sorry, aber habe mit der Zeit jegliches Verständnis für das System verloren. Keine Zeit. Keine Geduld. Keine Nerven. Kein Verständnis. Einfach von allem zu wenig.

Ich bin im ständigen Wettlauf mit der Zeit, vergeblich. Je schnelle und intensiver ich versuche zu laufen, um so schneller kommen schlechte Wertenachrichten, stürmen auf mich ein, wollen jegliche übergebliebene Hoffnung immer und immer wieder zerstören.

Ich bin müde, werde zu müde. Ich, der früher so extrovertierter Mensch, jetzt introvertiert, selbst für das Wenige zu müde. Zu müde zu hören, wie großartig ich aussehe. Zu müde, dass man mir den Krebs nicht ansieht. Der Spruch drückt mir den Mageninhalt nach oben, ich möchte kotzen. Zu müde geduldig auf die Frage zu antworten, wie es mir geht. Ohnehin sinnlos, da nahezu fast jeder danach urteilt, was er sieht. Ja, ich bin ein Mensch, der das Leid, das mich plagt, nicht gerne zeigt und alles versucht um es nach außen zu verbergen. Einfach nichts zeigen. Wozu würde das auch führen? Es bringt weder mir noch den Menschen, die mir die Frage stellen, eine befriedigende Antwort. Will man es überhaupt wirklich wissen? Was steckt hinter dieser Frage? Verstehen kann man es sowieso nicht, auch wenn dann immer ein „Ja ich weiß“ oder „Ja ich verstehe dich“ nachgeschoben wird. NEIN, das bitte nicht!!!

Kaum einer kann es verstehen. Und wenn doch, dann nur jene, die selbst ähnliches schließlich durchmachen. Ach ja, dann kommt mein liebstes Statement: „Wir müssen alle mal gehen.“ oder „Niemand von uns weiß, wie lange er noch hat.“ Danke, das hilft jetzt wirklich: Wie es schein, darf ich einmal schneller von hier weg.

Der gutmeinende Mitmensch dreht sich um und läuft weiter in seinem eigenen Hamsterradl. Ja eh, ist verständlich. Nun, lieber Gutmensch, versuche nicht meines runter zu spielen oder so zu tun als ob du meine Situation verstehst. Ich habe auch keine Expertise über deine Lebensfragen. Kann ich nicht. Will ich nicht.

Nach diesen ersten Floskeln ist ohnehin wieder jeder bei seiner Tagesordnung angekommen und ich bleibe mit meiner allein. Menschheit schafft es, selbst die ungelösten Lebensfragen im Schleim des Small Talks zu ertränken: Meine Schmerzen, mein Leid. Oh ja, ich leide und wie ich leide, in meinem hoffnungsvoll immer wieder gebrochenen Herzen.

Der Kampf mit meinem Körper ist davon bestimmt, die kleinen Dinge des Alltags zu meistern. Jeden Tag auf’s neue. Immer wieder, mal besser, mal schlechter, manchmal gar nicht. Alltag meint für mich, mein Leben jeden Tag auf die Beine zu stellen und in der Abnormalität eine Normalität für mich herzustellen.

Jeder Tag ist eine neue Herausforderung, psychisch und physisch. Dies ist schwer zu beschreiben, ich kann es nicht beschreiben und in Worte fassen, damit du und jeder, es verstehen kann. Am Ende bleibt immer nur das, was du sieht und wonach du urteilst. Vergiss nur nicht, dass du mich nur dann sehen wirst, wenn ich die Herausforderung des Tages bezwungen habe.

Erwartung - also mache ich für mich und mein Umfeld das, was ich am besten kann und zeige, dass ich meine erlernten Berufe liebe: Ich wahre und pflege die äußere Fassade. Frisiere, schminke, lächle usw. damit auch meine Augen mal etwas anderes zu sehen bekommen. Anders als das, was Seele und Herz spüren.

Ja, ich trage einen gemeinen und bösartigen Feind in und mit mir. Ein hinterlistigster Mitbewohner, der still und leise Schaden anrichtet. Er versteckt sich geschickt, zeigt keine Symptome bis er so richtig Mist gebaut hat, und dann zeigt er mir den Stinkefinger. Noch zu unerforscht. Noch zu wenig Wissen und Fakten über meinem großen Feind. Immerhin einen Namen hat er: Eierstockkrebs im Endstadium.

So sehr ich auch immer versuche Ruhe und Frieden zu bewahren, diese Heimtücke lässt mich immer wieder scheitern.

Was versuche ich dir verständlich zu machen: Mache meinen Kampf nicht klein, indem du mich mit Nichtigkeit überschüttest. Ich weiß, dass die Konfrontation mit mir nicht einfach ist. Aber niemand kann die Intensität meines Kampfes beurteilen. Ich nicht auch den deinen. Bringen wir uns gegenseitig Respekt entgegen. Dafür braucht man nicht viele Worte. Ein sanftes Lächeln genügt. Bitte keine Tränen. Davon habe ich meinen Momenten des Alleinseins genug und mein Herz hört gar nicht mehr auf.

Ich will nicht, dass man sieht, wie sehr mein Herz weint und meine Seele in einem Kampf gegen den stillen, bösartigen, vereinnahmenden Feind schreit. Das ist gut so, weil es einfacher ist: Für die meisten bleibt zumindest ein netter oder fröhlicher Eindruck zurück. Für einzelne ist es auf eine schräge Weise sogar unterhaltsam.

Ich schließe hier mit Worten eines mir sehr am Herzen liegenden Liedes: „Das Leben ist schön auch wenn es vergeht.“ Also, welche Symptome hast du?

Dieser Beitrag ist unmittelbar nach einer fürchterlichen Nacht voller Schmerzen und Koliken entstanden. Eine Nacht, die mir den Verstand geraubt hat.

Ein neuer Tag hat begonnen. Die Sonne scheint. Ich versuche zu sitzen und einfach zu lächeln.


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